Diese Ausgangsfrage beschäftigte nicht nur den deutschen Barbershop-Verband BinG!, sondern praktisch alle Gesangsgruppen, unabhängig von ihrer Größe und Stilrichtung, nachdem die Pandemie unser Hobby zu einer „gefahrgeneigten“ Tätigkeit gemacht hat. Viele Initiativen wurden daraufhin rund um den Globus wiederbelebt oder neu begonnen mit dem Ziel, die nötige räumliche Distanz zu überbrücken. In unserem Projekt haben wir uns aber nicht mit den Ansätzen beschäftigt, durch größere Abstände das Infektionsrisiko zu reduzieren – Singen mit großen Abständen im Freien oder in leeren Parkdecks, Singen in Autos u.ä. –, sondern mit räumlich vollständig getrennten Sängerinnen und Sängern, die trotzdem gleichzeitig singen. Sehr schnell wurde klar, dass gängige Videokonferenzsysteme dies nicht zulassen, weil die Laufzeit der Daten über das Internet wirkliche Gleichzeitigkeit nicht zulässt. Allerdings gab und gibt es mehrere Softwareprodukte, die diese sogenannte Latenz so weit minimieren, dass gleichzeitig gesungene Akkorde tatsächlich möglich sind.
In einer ersten Projektphase wurde Jamulus als das für unsere Zwecke am besten geeigneten Produkt herausgearbeitet, in einem zweiten Teil versucht, die Leistungsgrenze von Jamulus zu bestimmen. Ein Test mit 100 Sängerinnen und Sängern konnte erfolgreich absolviert werden. Besonders die Klangqualität wurde von den Beteiligten als überzeugend bewertet. Der Gesamteindruck erreichte ein etwas schwächeres Urteil. Ursächlich hierfür dürfte vor allem sein, dass sich der Gesang bei ungeübten Beteiligten im Laufe eines Stückes merklich verlangsamt: Das Warten auf den gehörten Ton, um dazu zeitgleich zu singen, bewirkt eine tendenzielle Kumulation der Latenzen der einzelnen Sängerinnen und Sänger. Es hat sich aber bereits gezeigt, dass dieser Effekt mit Übung deutlich reduziert werden kann. Jedenfalls ist zum Einstieg das Singen von Akkordfolgen auf Anweisung eines Dirigenten, etwa von Tags, und die Wahl langsamer Stücke in konstantem Tempo unbedingt zu empfehlen, dann kann die Frage dieses Artikels guten Gewissens mit „Ja“ beantwortet werden.
Eine ausführliche Beschreibung des Vorgehens und der Erkenntnisse können Interessierte hier nachlesen.
Dr. Thomas Wardin, 26.04.2021